Deutschland - Ein Land verarmt

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5820
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Deutschland - Ein Land verarmt

von 5820 am 22.03.2010 11:07

Seit vielen Jahren werden uns jährlich Statistiken, Studien und Berichte präsentiert, die zeigen, wie die Armut der Bevölkerung in unserem Land stetig zunimmt. Kinderarmut, Altersarmut, Armutsgefährdung und Armutsfalle sind die gängigen Begriffe. Betroffene werden zustimmend nicken. Nicht Betroffene werden vielleicht verständnislos den Kopf schütteln, weil diese Tatsache in ihrer Erfahrungswelt (noch) keine Rolle spielt.

Von 1990 bis 2008 ist das BIP in Deutschland kontinuierlich gestiegen. Die Armut ebenfalls. Eine korrekte Analyse dieses Umstandes würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Deswegen werde ich darauf so knapp wie möglich eingehen.

Die Armut in Deutschland hat im vergangenen Jahrzehnt zugenommen.



Da es einen erheblichen Unterschied macht, ob von einem Einkommen nur eine Person oder mehrere leben müssen, gilt für jede Haushaltskonstellation eine andere Armutsgrenze



Die Armutsquote von Senioren liegt derzeit in Deutschland klar unter dem EU-Durchschnitt. Doch das Armutsrisiko künftiger Rentner wächst.



In vielen Jobs erreichen die Beschäftigten trotz Vollzeitarbeit und Tarifabsicherung mit ihrem Verdienst noch nicht einmal das Existenzminimum. Ihr Tariflohn liegt zum Teil noch unter 5 Euro brutto pro Stunde.



Deutschland habe in den vergangenen Jahren "eine fast beispiellose Ausdifferenzierung der Löhne nach unten" erlebt, schreiben Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom IAQ. Die bundesweite Niedriglohnquote ist zwischen 1998 und 2007 enorm gestiegen - von 14,2 auf 21,5 Prozent aller Beschäftigten. Obwohl die Niedriglohnschwelle 2007 sogar unter der von 2003 lag, verpassen weiterhin viele Niedrig­löhner den Anschluss. Selbst während der Boomphase von 2006 bis 2007 wuchs der Niedriglohnsektor um rund 350.000 Beschäftigte.

Das Lohnspektrum franst nach unten aus. Immer mehr Beschäftigte verdienen schlecht. "Stundenlöhne von weniger als 6 Euro brutto sind längst keine Seltenheit mehr", beobachten die Forscher. In Deutschland arbeiten 1,2 Millionen Menschen für weniger als 5 Euro die Stunde, 2,2 Millionen für keine 6 Euro - und das im Hauptberuf. Zählt man noch Schüler, Studenten und Rentner hinzu, dann gibt es rund 1,9 Millionen Beschäftigte mit weniger als 5 Euro je Stunde und 3,3 Millionen unter 6 Euro. Gerade bei Minijobs und unter Teilzeitkräften sind besonders niedrige Stundensätze stark verbreitet, so die Studie. Die Wissenschaftler halten das für ebenso problematisch wie bei Vollzeitkräften, denn rund zwei Drittel der Teilzeitbeschäftigten geben an, für ihren Lebensunterhalt auf den Verdienst angewiesen zu sein.

Der Staat schränkt den Niedriglohnsektor nicht ein.
Die Forscher stellen mit Blick auf EU-Nachbarn fest: "Die meisten anderen Länder haben verbindliche Lohnuntergrenzen in Form gesetzlicher Mindestlöhne, die zwischen 38 und 50 Prozent des jeweiligen Medians liegen." So niedrige Löhne wie in Deutschland seien in Frankreich oder Großbritannien gar nicht erlaubt - beispielsweise ein Stundenlohn von 5 Euro, der nur 36,3 Prozent des Medianlohns beträgt und einer Vollzeitkraft gerade 800 Euro im Monat bringt. In Deutschland setze die Politik sogar gegenteilige Anreize, schreiben Kalina und Weinkopf: "In nicht unerheblichen Maß übernimmt der Staat eine Ausfallbürgschaft für Niedriglöhne, weil das Einkommen eben nicht zur Deckung des Existenzminimums ausreicht." Viele der so genannten Aufstocker - Beschäftigte, die zusätzlich Arbeitslosengeld II beziehen - arbeiten zu extrem niedrigen Stundenlöhnen. Fast 30 Prozent der westdeutschen und 40 Prozent der ostdeutschen Aufstocker verdienen weniger als 5 Euro die Stunde.

Quelle: Böckler Impuls Ausgabe: 12/2009

Quelle der Grafiken: Böckler-Boxen

Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für keine 7,50 Euro. Um den Niedriglohnsektor einzuschränken, genügt ein Verbot von "sittenwidrigen Löhnen" bei weitem nicht.



Der Niedriglohnsektor ist politisch gewollt und durch die Hartz-Reformen forciert worden. Die Forderung nach einer Hartz-Debatte von Westerwelle ist fehl am Platz. In das Zentrum der Debatte gehört der Niedriglohnsektor. Das Hartz-Urteil des BverfG ist von vielen Politikern, aber auch von Vertretern der schreibenden Zunft, noch gar nicht verstanden worden. Das Urteil hat einen Bremsklotz in der nach unten führenden Spirale gesetzt. Tiefer geht es nicht mehr. Die seit Jahren geübte Lohnzurückhaltung hat nicht nur die Binnennachfrage belastet, sondern auch die Sozialsysteme. Die exportlastige deutsche Wirtschaft wird nun die Quittung bekommen, bzw. der Steuerzahler. Die Griechenlandhilfe, die nichts anderes ist als eine Bankenrettung, ist erst der Anfang.

Die Steuersenkungsorgien in den letzten Jahren für Spitzenverdiener und Unternehmen haben nicht einen einzigen Arbeitsplatz geschaffen. Im Gegenteil. Trotz explodierender Gewinne bei zahlreichen DAX-Unternehmen wurde Personal entlassen. Läßt man die statistischen Tricks der BA weg, kommt man auf 5 Millionen Arbeitslose. Dies ist eher noch optimistisch gerechnet. Das ist die Realität mit der sich die Politik befassen muß, aber nicht will. Bis auch hier das BverfG regulierend eingreifen wird und der politischen Elite abermals eine schallende Ohrfeige verpasst. Ich höre es schon klatschen.

Das Ende des Niedriglohnsektors ist schon in Sichtweite. Doch selbst wenn in naher Zukunft ein existenzsichernder gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird, kann noch keine Entwarnung in puncto Verarmung gegeben werden. Die heute 50jährigen, die seit Jahren im Niedriglohnsektor arbeiten oder Hartz-IV beziehen und diese Situation nicht grundlegend ändern können, werden zwangsläufig in die Altersarmut abrutschen.

Dabei wäre das Problem einfach zu lösen. Durch die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung und Einführung einer Mindest- und einer Höchstrente. Wie sprach unsere Kanzlerin einst, es darf keine Denkverbote geben. Ebenso ist eine Reform des Steuersystems nötig, allerdings nicht in Form von Stufentarifen, auch nicht in Form von progessiven Prozentsätzen. Sondern durch ein Umlagesystem. Alle Einnahmen oberhalb des steuerfreien Existenzminimums, egal aus welcher Einnahmenquelle, werden den voraussichtlichen Kosten für das Gemeinwesen gegenüber gestellt. Kosten durch Einnahmen ergeben den Steueranteil für jeden Euro über dem Existenzminimum.

An einer grundlegenden Änderung unseres Wirtschafts-, Finanz- und Steuersystems werden wir ohnehin nicht vorbeikommen, will Deutschland, bzw. die EU, auch in Zukunft in der Weltwirtschaft eine bedeutende Rolle spielen. Die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) stehen schon in den Startlöchern.

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